Pink, Dotterblumen gelb 🐸 und Giftgrün

Pink, Buttercup Yellow, and Poison Green

Die Deutsche Oper als schwuler Treffpunkt

The Deutsche Oper as a Gay Meeting Point

Erinnerungen an einen West-Berliner Mikrokosmos: Der Autor, Aktivist, SchwuZ-Mitbegründer und Wegbereiter der Berliner Schwulenbewegung Bernd Gaiser erzählt von akribisch vorbereiteten Opernnächten, melancholischen Begegnungen am Bartresen, dem Berliner Tuntenstreit und wie die Magie der Bühne der schwulen Lebensrealität einen Kontrapunkt setzte. Auch für Klaus Nomi war die Deutsche Oper ein Sehnsuchtsort: künstlerisch noch weitestgehend unbekannt, bestritt er dort als Platzanweiser seinen Lebensunterhalt, bevor er 1973 nach New York emigrierte und mit seiner überragenden Stimmgewalt und seinen Outfits als Pop-Countertenor zur queeren Ikone wurde.


Memories of a West Berlin microcosm: The author, activist, SchwuZ co-founder, and pioneer of the Berlin gay movement Bernd Gaiser recounts meticulously prepared opera nights, melancholic encounters at the bar, the Berlin drag queen dispute, and how the magic of the stage created a counterpoint to gay life reality. The Deutsche Oper was also a place of longing for Klaus Nomi: artistically still largely unknown, he made a living there as an usher before emigrating to New York in 1973, where he became a queer icon with his outstanding vocal power and outfits as a pop countertenor.

Directed by/Regie Noam Brusilovsky

Speaker/Sprecherin Mareike Wenzel

Musik/Music Tobias Purfürst and/und Aria E Strano! La Traviata G. Verdi, Maria Callas

Sound and Post-production/Sound Ton und Technik Tobias Purfürst

Original audiopiece as part of the project Nothing that ever was changes
curated by/kuratiert von Christian Haid, Lukas Staudinger
Project Assistant/Projekt- assistenz Helen Wandel


Einfache Sprache DE

Bernd Gaiser ist ein Autor, Aktivist und Gründer eines Schwulenclubs in Berlin. Er erzählt Geschichten aus seinem Leben in West-Berlin. Er spricht über Opernnächte, traurige Momente in Bars und Streitigkeiten in der Schwulenszene. Die Bühne war für viele schwule Männer ein besonderer Ort.
Auch Klaus Nomi liebte die Deutsche Oper. Er war ein Künstler und arbeitete dort als Platzanweiser, bevor er 1973 nach New York zog. Dort wurde er mit seiner besonderen Stimme und seinen Outfits berühmt und eine wichtige Figur in der queeren Szene.

Transkript

Sprecherin [00:00:10] Pink, Dotterblumengelb und Giftgrün. Die Deutsche Oper war ein Treffpunkt für Schwule.
Bernd Gaiser [00:00:23] Mein Name ist Bernd. Ich bin 76 Jahre alt. Seit den 1970er Jahren arbeite ich in der Schwulenbewegung in Berlin und habe den Club SchwuZ gegründet. Seit zehn Jahren wohne ich im Lebensort Vielfalt, einem Wohnprojekt für schwule Männer und die gesamte Community, also auch für Frauen und junge Leute. Es ist schön, weil man nicht nur mit alten schwulen Männern lebt. Wir haben gute Verkehrsverbindungen und viele Einkaufsmöglichkeiten. Die Deutsche Oper ist nur 15 Minuten zu Fuß entfernt. Sie war ein wichtiger Treffpunkt für Schwule. Es gab eine geheime Toilette in der Nähe, aber wichtiger waren die auffälligen schwulen Männer bei Opernaufführungen. Sie trugen schrille Outfits in Pink, Gelb oder Grün. Das war ein großes gesellschaftliches Ereignis. Wir haben uns wochenlang darauf vorbereitet, das Libretto gelesen und Musik gehört, um nichts zu verpassen und an unseren Outfits gearbeitet.
[00:03:02] Die Oper war die einzige, die wir hatten. Schwule Männer lieben die Oper, weil sie dramatisch und gefühlvoll ist. Schwule Männer, die sich auffällig kleideten, wurden oft angegriffen. Es gab 1973 einen Streit in der Schwulengruppe HAW, weil manche Männer fanden, dass die auffälligen Schwulen das Bild der Schwulen verfälschten. Die Oper war ein Ort, wo diese Männer ihre Träume und Gefühle ausleben konnten. In der Oper gibt es nie ein glückliches Ende. Die Beziehungen scheitern immer und jemand stirbt. Das war sehr dramatisch und aufregend.
[00:04:59] Es gab noch eine Bar namens Lützower Lampe in der Behaimstraße 21, hinter der Deutschen Oper. Es war eine kleine Bar für Travestiekünstler. Die Besitzerin hieß Carmen, eine Travestiekünstlerin, die Lieder von Zarah Leander sang. Sie erinnerte mich an eine andere Travestiekünstlerin namens Wilma, die in einem Dorf bei Mannheim eine Kneipe hatte. Wilma war wie Carmen und sang auch Lieder von Zarah Leander. Viele Leute aus der Umgebung kamen, um Wilma zu sehen. Aber Wilma war auch eine traurige alte Tunte, die viele schlimme Geschichten erzählte. Viele schwule Männer kamen nach Berlin, weil die Stadt einen besonderen Ruf hatte.
Sprecherin [00:07:41] Sie hörten ein Hörbild aus der Reihe Nothing That Ever Was Changes. Edition Charlottenburg Wilmersdorf. Eine Zusammenarbeit von Poligonal – Büro für Stadtvermittlung und Noam Brusilowsky. Es sprach Bernd Gaiser. Sprecherin: Mareike Wenzel. Ton und Technik: Tobias Purfürst. Gefördert durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Berlin 2022.


Audio Transkript DE

Sprecherin [00:00:10] Pink. Dotterblumengelb und Giftgrün. Die Deutsche Oper als schwuler Treffpunkt.

Bernd Gaiser [00:00:23] Ja, mein Name ist Bernd. Ich bin inzwischen 76 Jahre alt und seit Anfang der 1970er Jahre an dem Aufbau einer Schwulenbewegung hier in Berlin beteiligt und war an vielen anderen Aktivitäten beteiligt, unter anderem an der Gründung des SchwuZ, das heute immer noch existiert. Und seit etwa zehn Jahren wohne ich hier in dem Lebensort Vielfalt. Das ist ein Projekt der Berliner Schwulenberatung, also ein schwules Wohnprojekt nicht nur für ältere schwule Männer, sondern für die gesamte Bandbreite der Community. Und zwar unabhängig davon, ob Frauen oder Männer hier wohnen. Also beide Geschlechter sind hier vertreten und auch Ältere und Jüngere, was also sehr angenehm ist für das Zusammenleben, weil allein unter älteren schwulen Männern hier zusammen zu leben, wäre vielleicht nicht so optimal gewesen. Für uns ist es sehr vorteilhaft, hier zu leben. Wir haben also gute Verkehrsverbindungen überall innerhalb Berlins. Wir kommen gut zu unseren Einkaufsmöglichkeiten in der Wilmersdorfer Straße. Die sind zu Fuß erreichbar, aber auch Kinos, Theater und Opernhäuser. Die Deutsche Oper ist in Reichweite, also die ist gerade eine Viertelstunde Fußweg entfernt. Auch die Deutsche Oper in der Bismarckstraße war ein schwuler Treffpunkt. Also es gab natürlich auch in der Nachbarschaft eine unterirdische Klappe, wo man ein paar Schritte Treppen runter gehen musste. Aber viel wichtiger war natürlich der Auflauf von Tunten bei Opernaufführungen. Es war unbeschreiblich, abends in der Deutschen Oper zu einer Opernaufführung zu kommen, weil ganz viele Tunten im Fummel da unterwegs waren, also in sehr glamourösen, schrillen Outfits in Pink oder Blumengelb oder Giftgrün, also so richtig schrill, um aufzufallen. Und das war natürlich eine Art gesellschaftliches Ereignis. Also da hat man sich wochenlang darauf vorbereitet. Da habe ich mich mit Freunden verabredet, die gesagt haben: “Oh, jetzt gehen wir in die Oper!” Und dann haben wir uns tagelang schon darauf vorbereitet, haben zusammen das Opernlibretto gelesen und haben die Musik gehört, damit wir drin sind und uns möglichst nichts entgeht und haben dann auch an unserem Outfit gearbeitet.

[00:03:02] Ja, es war die einzige Oper, die wir hatten. Und Tunten haben einen ganz bestimmten Bezug zur Oper, weil es so dramatisch ist und so gefühlvoll und so romantisch und man da richtig hinschmelzen kann. Die “Tunten” waren ja diejenigen unter den Schwulen, die am sichtbarsten waren als Schwule und deswegen besonders exponiert und wurden natürlich viel angegriffen und angefeindet wurden. Nicht nur von heterosexuellen Menschen in ihrer Umwelt, sondern auch von schwulen Männern selbst. Es gab ja 1973 innerhalb der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW, Anm.d.Red.) den berühmten “Tuntenstreit”, wo die Tunten durch die anderen Schwulen angegriffen wurden aufgrund ihrer Erscheinung das Bild des schwulen Mannes in der Öffentlichkeit zu verfälschen. So hat es mal jemand formuliert. Und das fand man unangemessen. Aber die Oper, die war so das Begegnungsfeld von Tunten, wo sie rein gefühlsmäßig leben konnten. Also wo sie ihre Träume, ihre ganzen Visionen, ihre Vorstellung von sich selbst und ihren Traum von einer Beziehung ausleben konnten. Und in der Oper ist es ja wie im wirklichen Leben. Die Beziehungen auf der Opernbühne scheitern immer. Irgendjemand stirbt immer. Aber es gibt nie ein glückliches Ende für eine Beziehung auf der Opernbühne. Alle sterben immer, werden erdolcht, ermordet, stürzen sich irgendwie von Klostermauern oder sonstwie. Und das ist hochdramatisch. Und das ist so richtig mal zwei Stunden lang ein tolles Erlebnis.

[00:04:59] Es gab noch einen Ort hier in Charlottenburg, an dem ich sehr gerne war. Und dieser Ort hieß Lützower Lampe. Er war angesiedelt in der Behaimstraße 21. Und zwar ist das der Bereich hinter der Deutschen Oper. Und das war in so einer kleinen Seitenstraße eine ganz bescheidene kleine Bar. Und das war so ein Travestietreffpunkt hier in Berlin. Also die Inhaberin hieß Carmen, wurde von allen liebevoll “Carmenchen” genannt und Carmen war diejenige, die dann als Travestiekünstlerin aufgetreten ist. Sie war wunderbar. Sie hat ihre Chansons gesungen, meistens Lieder von Zarah Leander, und ich war deshalb so sehr emotional davon berührt, weil Carmen mich an eine Tunte erinnert hat namens Wilma. Wilma hatte in einem kleinen Dorf außerhalb von Mannheim, zwischen Mannheim und Heidelberg auf dem Lande, in Feudenheim am Neckar eine Kneipe. Und dann haben wir uns bei Wilma, auch eine Travestiekünstlerin, die immer genau wie Carmen hier mitten in Berlin, nachts auf dem Lande aufgetreten ist – als Chansonsängerin, als Interpretin von Zarah Leander Liedern. Und das war so einer der wenigen Treffpunkte, die es damals in diesem Bereich Mannheim, Heidelberg gab. Wo Menschen aus der ganzen Umgebung am Wochenende hin fuhren, um Wilma nachts zu erleben als Sängerin. Und Wilma war einfach nur, wenn sie abgeschminkt war, eine traurige alte Tunte. Eine, die, wenn man ihr begegnet ist, bei einem Bier an der Bar saß. Wenn sie nicht auftrat, dann konnte sie einem ganz viele schreckliche Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Was alles schon passiert ist und wie sehr sie unter dem Paragraphen 175 gelitten hat. In Berlin war es dann ein bisschen anders, da war es dann nicht mehr ganz so dramatisch. Also viele schwule Männer haben natürlich auch den Weg nach Berlin deshalb gefunden, weil Berlin so einen Mythos hatte. Also die Oper als solche spielt für schwule Menschen schon eine wichtige Rolle.

Sprecherin [00:07:41] Sie hörten ein Hörbild aus der Reihe Nothing That Ever Was Changes. Edition Charlottenburg Wilmersdorf. Eine Zusammenarbeit von Poligonal – Büro für Stadtvermittlung und Noam Brusilowsky. Es sprach Bernd Geiser. Sprecherin: Mareike Wenzel. Ton und Technik: Tobias Purfürst. Gefördert durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Landestelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung. Berlin 2022.


Audio Transcript EN

Speaker [00:00:10] Pink. Buttercup Yellow and Poison Green. The Deutsche Oper as a Gay Meeting Point.

Bernd Gaiser [00:00:23] Yes, my name is Bernd. I am now 76 years old and have been involved in building a gay movement here in Berlin since the early 1970s and in many other activities, including the founding of SchwuZ, which still exists today. And for about ten years, I have been living here in the “Lebensort Vielfalt”. This is a project of the “Berlin Gay Counseling Service” (Berliner Schwulenberatung, editor's note), a gay housing project not only for older gay men but for the entire spectrum of the community. And it doesn't matter whether women or men live here. So, both genders are represented here and also older and younger people, which is very pleasant for living together because living here only with older gay men might not have been optimal. It is very advantageous for us to live here. We have good public transport connections all over Berlin. We can easily reach our shopping opportunities on Wilmersdorfer Straße. They are within walking distance, but also cinemas, theaters, and opera houses. The “Deutsche Oper” is within reach, just a fifteen-minute walk away. The Deutsche Oper on Bismarckstraße was also a gay meeting place. There was, of course, an underground restroom (a cottage or teahouse, editor’s note) nearby where you had to go down a few steps. But much more important was the gathering of “Tunten” (“Faggots”, editor’s note) at opera performances. It was indescribable to come to an opera performance at the Deutsche Oper in the evening because many “Tunten” in fabulous outfits were there, in very glamorous, flashy outfits in pink, buttercup yellow, or poison green, really flashy to stand out. And it was, of course, a kind of social event. People would prepare for it for weeks. I made appointments with friends who said: “Oh, now we’re going to the opera!” And then we prepared for days, read the opera libretto together, and listened to the music to make sure we were well-prepared and didn’t miss anything, and we also worked on our outfits.

[00:03:02] Yes, it was the only opera we had. And “Tunten” have a very special relationship with the opera because it is so dramatic and so emotional and so romantic that you can really melt into it. The “Tunten” were the most visible gays and therefore particularly exposed and, of course, were much attacked and harassed. Not only by heterosexual people in their environment but also by gay men themselves. In 1973, there was the famous “Tunten dispute” within the Homosexual Action West Berlin (HAW, an association fighting for mainly gay rights, editor’s note), where the Tunten were attacked by other gays because their flamboyant appearance was thought to distort the public image of gay men. That’s how someone once put it. And it was considered inappropriate. But the opera was the meeting place for Tunten, where they could live out their emotions. Where they could live their dreams, their visions, their ideas of themselves and their dreams of a relationship. And in the opera, as in real life, relationships on the opera stage always fail. Someone always dies. And there is never a happy ending for a relationship on the opera stage. Everyone always dies, gets stabbed, murdered, or throws themselves off monastery walls or something else. And it is highly dramatic. And it’s just a great experience for two hours.

[00:04:59] There was another place here in Charlottenburg that I liked very much. And this place was called Lützower Lampe. It was located at Behaimstraße 21. This is the area behind the Deutsche Oper. It was a very modest little bar on a small side street. And it was a meeting point point for drag queens here in Berlin. The owner’s name was Carmen, affectionately called “Carmenchen” by everyone, and Carmen was the one who performed as a drag artist. She was wonderful. She sang her chansons, mostly songs by Zarah Leander, and I was so emotionally touched because Carmen reminded me of a drag queen named Wilma. Wilma had a pub in a small village outside Mannheim, between Mannheim and Heidelberg in the countryside, in Feudenheim am Neckar. And then we met at Wilma’s, also a drag artist, who performed at night in the countryside, just like Carmen here in the middle of Berlin, as a chanson singer, as an interpreter of Zarah Leander songs. And that was one of the few meeting places in the Mannheim-Heidelberg area at the time. Where people from the whole area went on weekends to experience Wilma at night as a singer. And Wilma was just, when she was not in makeup, a sad old Tunte. One who, when you met her, was sitting at the bar with a beer. When she was not performing, she could tell you many terrible stories from her life. What had happened and how much she had suffered under Paragraph 175. In Berlin, it was a bit different; it was not as dramatic. Many gay men found their way to Berlin because Berlin had such a myth. So, the opera as such plays an important role for gay people.

Speaker [00:07:41] You heard a radio play from the series Nothing That Ever Was Changes. Edition Charlottenburg Wilmersdorf. A collaboration between Poligonal – Büro für Stadtvermittlung and Noam Brusilowsky. Spoken by Bernd Gaiser. Speaker: Mareike Wenzel. Sound and technology: Tobias Purfürst. Funded by the Senate Department for Justice, Consumer Protection and Anti-Discrimination. Senate Department for Equal Treatment Against Discrimination. Berlin 2022.


Material

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